De Verovering van Geweld
von Thomas Baldischwyler im Kunstverein Lüneburg
Die Installation »DE VEROVERING VAN GEWELD« (dt. »Die Überwindung der Gewalt«) von Thomas Baldischwyler im Kunstverein Lüneburg ist eine gespenstische, erzählerische Versammlung ungleicher Paare. Durch den Raum spannen sich die Linien so einiger schwieriger Beziehungen: Batman und Robin, Dagobert Duck und die Panzerknacker, Andy Warhol, Nico und Ondine, MC Shan und Snow, Gepetto und Pinocchio, De-Stijl und Baldischwylers Onkel Willi.
Die Grundlage dieser streng komponierten Installation ist bereits selbst ein Gespenst: das zerstörte, nur noch als Zeichnung existierende Leidener Arbeitszimmer des calvinistischen Theologen, Pazifisten und Anarchisten Bart de Ligt (1883 – 1938), das von dem De-Stijl-Gründer Theo van Doesburg gestaltet wurde, und für das der damals noch unbekannte Gerrit Rietveld im Auftrag van Doesburgs drei Stühle entwarf. Dieses Arbeitszimmer hat Thomas Baldischwyler frei rekonstruiert.
Beim Betreten der Installation erscheint zunächst die ihr zu Grunde liegende, biografische Erzählung: Der Onkel des Künstlers, der mit Kunst und besonders mit Avantgardismus wenig anfangen konnte, hatte Rietvelds Stuhl-Entwurf für de Ligts Arbeitszimmer gesehen, und sich, unbeeindruckt vom heldenhaften Gestus der modernistischen Avantgarde, dazu entschieden, die Stühle nachzubauen. Er fand sie denkbar einfach. Die so angeeigneten De-Stijl-Stühle mit der berühmten Formsprache kamen in die Familie. Jeder dieser drei Stühle ist nun ein Ankerpunkt für weitere Beziehungsgeschichten.
Folgt man dem Gehör, gelangt man zum Stuhl mit der Soundinstallation: auf einem Plattenspieler läuft, in Endlosschleife, verlangsamt und mit einem geisterhaften Hall versehen, die 1992er Hitsingle »Informer« des kanadischen, weißen Reggae-Toasters Snow. Der Song war der einzige große Erfolg des Musikers, produziert vom einflussreichen New Yorker Rapper und Produzenten MC Shan, der an der gegenüberliegenden Wand auf dem Cover einer Platte (»Ain’t it good to you«) zu sehen ist. MC Shan trägt darauf ein Shirt mit der Aufschrift »De Look, De Color, De Stijl«: eine postmoderne Verballhornung der modernistischen Avantgarde aus Holland, gehalten in ihren Grundfarben Rot, Schwarz, Blau und Gelb. Alles nur Style?
Der nächste Stuhl, nahe der Schiebetür an der Rückwand des Raumes mit farblich abgestimmten Klemmen stabilisiert, verbirgt auf einer unteren Ebene die verpackte August-Ausgabe des Männermagazins Esquire von 1966, auf dem Cover Cassius Clay alias Muhammad Ali. In dieser Ausgabe gab es einen kurzen Text namens »Remember the Sixties?«, der die Grundlage für die Postkarten-Edition an der Wand links vom Stuhl bildet.
Stuhl Nr. 3, an der Seitenwand, trägt einen Plexiglaskasten, darin ein Stapel von Andy Warhols Buch »a«, auf dem ein kleiner Pappaufsteller steht. Darauf ist ein gefundenes Bild von Meister Gepetto zu sehen, einem gealterten Andy Warhol nicht unähnlich, der seinem Geschöpf Pinocchio ein Buch namens »A« zeigt. Vielleicht bringt er ihm das Lesen bei?
Es spukt wieder eine Beziehung voller Gefälle herum: Andy Warhols Buch ist garnicht allein von Warhol geschrieben worden. Es sind transkribierte Aufzeichnungen von Amphetamingeschwängerten Gesprächen zwischen Warhol und seinem Factory-Superstar Ondine, koproduziert mit einigen anderen Factory-Leuten. Hat Warhol mit seiner Factory nun Superstars produziert, oder hat Warhol sich von den Factory-Superstars produzieren lassen? War Warhol zur Factory wie der schöpfende Gepetto, der sich die Muse Ondine aus dem Holz schnitzte?
Hier erfolgt der Sprung auf die nächste Erzählebene. Hinter dem »Gepetto-Stuhl«, an der Seitenwand des Raumes, ein Bild von Batman und Robin, in der Hand die Werkzeuge mit denen sie geschaffen wurden. Heldenfiguren also, die sich selbst erzählen können. An der Wand schräg gegenüber, hinter dem »Snow-Stuhl«, wieder Batman und Robin, miteinander im Konflikt. Robin greift Batman an, Batman schlägt Robin, Robin explodiert, stirbt und entpuppt sich postum als robotischer, falscher Robin, um den Batman nichtsdestotrotz weint. Ist dieser Batman auch ein Roboter? Jedenfalls ist schon Batman selbst bloß ein falscher Superheld, da er keinerlei Superkräfte oder angeborenen Talente besitzt: er ist bloß ein stinkreicher, gekränkter Rächer, getrieben durch den Raubmord an seinen Eltern. Und Robin? Ist diesem Batman von dessen Zeichnern zur Seite gestellt worden, damit er sich mit jemandem Unterhalten kann. Wieder das bittere Los der Muse. Und ein weiteres Mal tauchen Batman und Robin auf: die Postkartenedition mit dem Esquire-Text zeigt Andy Warhol, verkleidet als Robin, und Warhol-Muse Nico, verkleidet als Batman. Hier wendet sich das Bild wieder – wer produziert hier wen?
Noch ein Erzählstrang: an der Rückwand, ein Stück weit über die Schiebetür gehängt, eine große Leinwand. Dreimal darauf zu sehen: »LA LUTTE EST POSSIBLE« (dt. »Der Kampf ist möglich«), ein Bauzaungraffito aus dem brodelnden Paris 1968. In den Rand des Graffitos von Baldischwyler hereingemalt: Dagobert Duck, seines Zeichens reichster Entenhausener, der außer seines Reichtums keinerlei bemerkenswerte Eigenschaften hat, übergibt seinen Erzwidersachern, den Panzerknackern, einen augenscheinlichen Sack voll Geld, der sich als Wasserbombe herausstellt. Reingelegt! Über alles legt sich eine unvollendete Partie TicTacToe – das Kreis-gegen-Kreuz-Spiel, das nur gewinnen kann, wer anfängt. Wessen Kampf ist denn hier überhaupt möglich?
In der diagonal gegenüberliegenden Raumecke hängt das unscheinbarste Bild. Die Zeichnung eines befreundeten Künstlers zeigt, beim Thema bleibend, zwei nackte Entenhausener:innen, panisch vom Blitz aufgeschreckt. Der Urheber der Zeichnung hatte sich, ohne Schulabschluss, fest vorgenommen Philosophie zu studieren. Der einzige Weg zum Ziel war, an der viel zugänglicheren Kunsthochschule ein Diplom zu machen, um sich dann auf das »richtige« Studium bewerben zu können. An der Kunsthochschule war man, im Gegensatz zu ihm, begeistert von seinen Arbeiten und riet ihm, es mit einer Kunstkarriere zu versuchen. Er wiegelte ab und studierte schließlich doch Philosophie. Heute ist er kein Künstler, das Kunstdiplom, als Zertifikat, war sein Ticket in eine zuvor verschlossene Welt.
Ein weiteres Zertifikat befindet sich direkt gegenüber dieser Zeichnung, rechts neben der Schiebetür. Es klebt auf der Rückseite der rot eingerahmten Ein-Dollar-Note, sehr wahrscheinlich handsigniert von Andy Warhol. Diese typische Warhol-Arbeit sollte, in Massen produziert und verkauft, die Andy-Warhol-Stiftung finanzieren. Die Kunst als Mittel zum Geldmachen, das Geld als Mittel zum Kunstmachen, beides so eng verzahnt, dass Ware und Kunst eins werden.
Das stärkste Gespensterpaar von allen in diesem Raum ist das von Geld und Ware. Dagegen sträubt sich ein zweites Gespensterpaar: der revolutionäre Kampf (»LA LUTTE«) und der friedliche Protest (»DE VEROVERING VAN GEWELD«). Wie geht diese Gespenstergeschichte aus?