Feldarbeit
27.09.2022 (Bearbeitet 15.11.2022)
Prestige (symbolisches Kapital) oder Erfahrung (kulturelles Kapital) als einziger Lohn ist nur dann akzeptabel, wenn die eigenen Lebenshaltungskosten entweder längst gedeckt sind oder sie damit direkt bezahlt werden können. Da unsere Finanzkapitalistische Welt aber eben primär mit finanziellem Kapital funktioniert – huhu Tautologie – muss mir, besonders als Linkem, der Umtausch des durch meine Arbeit geschaffenen Wertes gegen solche latent mythologischen und spekulativen Kapitalsorten eigentlich schnuppe sein. Ließe sich natürlich sagen, dass propere Fähigkeiten und ein super Leumund mir durchaus ein erträgliches Einkommen bescheren können – das allein hat aber noch keinen ernstzunehmenden Tauschwert. Die Behauptung, Erfahrung oder Prestige seien im Prinzip bares Geld wert, ist vorschnell und gemogelt. Arbeit bleibt schließlich Arbeit, ob ich sie nun besonders gründlich und rühmlich mache, oder nicht. Eine Ökonomie, in der ich (alle) meinen Kühlschrank unmittelbar durch Fähigkeiten oder meinen Ruf füllen könnte, hätte mit Kapitalismus vermutlich nicht mehr viel zu tun. Wenn wir dort hinkommen wollen, müssen wir Dinge einfordern.
Again, es kann mir als Arbeiter:in eigentlich nicht daran gelegen sein, mich mit symbolischem Kapital – Prestige und Ruf sind erstmal bloße Versprechungen – und kulturellem Kapital – wenn ich etwas gut kann, bin ich schneller, effizienter und produziere mitunter mehr Wert für andere – bezahlen zu lassen. Wenn also die sicherlich zu Recht sehr angesehene Kunsthochschule ihre aufwändig und großzügig produzierten jährlichen Publikationen von den Studierenden der Grafik unentgeltlich gestalten lässt, findet da eine gewaltige Überschätzung des Tauschwertes der nichtfinanziellen Kapitalsorten statt. Es wird den Studierenden gesagt, sie sollten froh und bitteschön dankbar sein, solche Projekte für eine so prestigeträchtige Institution umsetzen zu dürfen, zumal die Arbeitserfahrung doch enorm wertvoll sei. Sobald sich also Studierende über die teils enorme unbezahlte Arbeitslast beschweren, werden ihnen Anmaßung und Undankbarkeit vorgeworfen. Wenn die Lebenshaltungskosten nicht seit Jahrzehnten unaufhörlich stiegen und die Reallöhne ungleich langsam hinterherkrepelten, man könnte als fleißige:r Student:in großzügig und demütig die nicen Publikationen gestalten, als gäbe es nichts dringenderes auf der Welt.
Nebenbei, natürlich sind die Studierenden in service of the Kunsthochschule Arbeiter:innen, denn sie werden situativ dazu gemacht. Ob man Arbeiter:in ist oder nicht, ist schließlich keine Identitätsfrage, sondern eine rein ökonomische, aus der sich eine etwaige Identität bloß als kulturelles Symptom, als Coping-Mechanismus generiert. Anyway, die Kunsthochschule wiederum wird in in ihrer Funktion in solchen Projektsituationen gleichsam zu einer Art kleinen Kapitalistin, die das Portemonnaie bei den Druckkosten bemerkenswert locker und bei den Lohnkosten für diejenigen, die das zu druckende Ding überhaupt erst erschaffen, bemerkenswert rigide schwingt. So kann die Kunsthochschule sicherstellen, dass sie das durch die Publikationen produzierte Prestige – symbolisches Kapital, das sie als staatliche Bildungsinstitution ja tatsächlich gut brauchen kann – kosteneffizient erwirbt. Die Studierenden müssen sich das Geld für die obszön hohen Mieten dann eben wann anders verdienen oder zufällig aus liquidem Hause stammen.
Nun ist es aber natürlich nicht so, als gäbe es da auch auf der Seite der Hochschule weder Bereitschaft noch Spielraum. Wer fragt, bekommt. Sind ja eigentlich alle nett und fair hier. Nur muss man sich den Rüffel zum Thema Demut und Dankbarkeit erstmal auf der Zunge zergehen lassen. Es liegt an den Studierenden, ihre Münder auf und sich selbst gerade zu machen. Diese Prestigeprojekte kurzerhand als Grundbestandteil des Studiums zu markieren und somit aus der Argumentationslinie zu ziehen, ist verständlich, aber missachtet grob den enormen Arbeitslastunterschied zwischen Studierenden der Grafik und denen der freien Kunst bei gleichen ökonomischen Konditionen. Es wäre vielleicht ein vernünftiger Kompromiss, wenn die Studierenden, an die solche wirklich schönen und interessanten Projekte herangetragen werden, von vornherein verschiedene Möglichkeiten hätten, ihre Arbeit vergütet zu bekommen. Sei es durch Rabatte auf Semesterbeiträge, Credit Points, Werkverträge oder befristete Teilzeitstellen mit fixer Vergütung für fixe Arbeitszeitvolumina. Das würde den Studierenden zugleich wichtige Fähigkeiten in Sachen Kalkulation und Bewertung von Leistung, sowie Klassenbewusstsein vermitteln – dasjenige kulturelle Kapital also, das ihre Distanz zu einer annehmbaren Bezahlung ihrer Arbeit tatsächlich verringert.
Es kann, bei aller Kritik, allerdings ganz und garnicht Sinn der Sache sein, die Studierenden zu emsig hustlenden, coolen Design-Entrepreneurs zu machen und die Kunsthochschule zu einer Agentur. Damit wäre der neoliberale Kitschtraum der technokratischen, geschäftsmäßigen Zukunft der Hochschulen verwirklicht, das wäre auch das Gegenteil meines Anliegens: der eklatanten Präkarität von Kulturarbeit schon frühzeitig etwas entgegenzusetzen und die Kulturarbeiter:innen zu stärken. Wir Kulturarbeiter:innen, Ästhet:innen allesamt, schielen natürlich auf die, uns moralisch erhabener und eleganter erscheinenden, nichtfinanziellen Kapitalsorten. Dabei verkürzen wir die zu Recht angebrachte, mitunter fundamentale Kritik am Kapitalismus auf ein Unbehagen an der Forderung nach mehr Geld und beuten uns selbst mit grimmigem Stolz für andere oder »die Sache« aus. Sure, fühlt sich gut und nobel an, wir sollten uns aber eingestehen, dass es eigentlich nicht geht.